Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 20. Februar 2025 (Az.: I ZR 16/24) entschieden, dass die bekannten Sandalenmodelle „Madrid“ und „Arizona“ von Birkenstock keinen urheberrechtlichen Schutz genießen. Das Urteil, das aus einem langjährigen Rechtsstreit zwischen Birkenstock und einem Wettbewerber resultiert, setzt Maßstäbe für den urheberrechtlichen Schutz von Gebrauchsgegenständen und insbesondere von Designobjekten der angewandten Kunst.
Die Klägerin, eine Gesellschaft der Birkenstock-Gruppe, machte geltend, dass die Sandalenmodelle „Madrid“ (1963 entworfen) und „Arizona“ (1973 eingeführt) Werke der angewandten Kunst im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG seien. Insbesondere die Sohlenform, der nicht verblendete Sohlenschnitt und die Materialwahl seien individuell und schöpferisch gestaltet. Dadurch entstehe ein ikonisches Design mit hohem Wiedererkennungswert.
Die Beklagte, ein konkurrierendes Unternehmen, vertreibt Sandalen unter der Bezeichnung „LEDER SANDALEN“, die laut Birkenstock-Argumentation den Modellen „Madrid“ und „Arizona“ stark ähneln. Die Klägerin beantragte daher ein Vertriebsverbot sowie weitergehende Ansprüche auf Auskunft, Schadensersatz und Vernichtung der infrage stehenden Produkte.
Das Landgericht Köln (LG Köln, Urteil vom 11. Mai 2023 – 14 O 39/22) entschied zunächst zugunsten von Birkenstock und bejahte den urheberrechtlichen Schutz der Sandalenmodelle. Es stellte fest, dass deren Gestaltung über das rein Funktionale hinausgehe und einen ausreichenden Grad an Individualität erreiche.
In der Berufung vor dem Oberlandesgericht Köln (OLG Köln, Urteil vom 26. Januar 2024 – 6 U 86/23) wurde die Klage hingegen vollständig abgewiesen. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass die streitgegenständlichen Sandalen lediglich Designobjekte seien, die keine künstlerische Gestaltungshöhe erreichten.
Die Klägerin legte daraufhin Revision beim BGH ein, um die Entscheidung des Landgerichts wiederherzustellen. Der BGH bestätigte jedoch das Urteil des OLG Köln und verneinte den Urheberrechtsschutz.
Der BGH stellte klar, dass Werke der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG nur dann urheberrechtlich geschützt sind, wenn sie eine persönliche geistige Schöpfung mit einer gewissen Gestaltungshöhe aufweisen. Dabei reicht es nicht aus, dass eine Gestaltung ästhetisch ansprechend oder markentypisch ist – sie muss vielmehr eine künstlerische Leistung darstellen.
Das Gericht führte aus, dass die Sandalenmodelle „Madrid“ und „Arizona“ sich nicht in besonderer Weise von bereits existierenden Gesundheitssandalen abheben. Zwar gebe es Gestaltungsspielräume bei Sohlenform, Schnitt und Materialwahl, doch seien diese nicht in einer Weise genutzt worden, die über das handwerklich Übliche hinausgehe.
Die Klägerin hatte argumentiert, dass Karl Birkenstock die Modelle eigenständig entworfen und dabei bewusste Designentscheidungen getroffen habe. Der BGH befand jedoch, dass es keinen objektiven Nachweis dafür gebe, dass die Sandalen Ausdruck einer freien künstlerischen Entscheidung seien. Insbesondere fehle eine erkennbare Individualität, die auf eine schöpferische Leistung hindeute.
Der BGH betonte, dass der urheberrechtliche Schutz nicht für jede ästhetische Gestaltung gilt. Anders als beim Designschutz, der bereits für originelle Formen gewährt werden kann, setzt der Urheberrechtsschutz eine künstlerische Eigenart voraus. Hierzu sei eine schöpferische Leistung erforderlich, die sich von rein funktionalen oder technischen Gestaltungsentscheidungen abhebt.
Dieses Urteil des BGH hat erhebliche Auswirkungen auf die Design- und Modebranche sowie auf Unternehmen, die im Bereich des Produktdesigns tätig sind. Die wichtigsten Erkenntnisse für Unternehmer:
Produkte der angewandten Kunst müssen eine ausreichende Gestaltungshöhe aufweisen, um unter das Urheberrecht zu fallen. Ästhetik allein reicht nicht aus – es muss eine schöpferische Eigenleistung erkennbar sein.
Unternehmen sollten sich nicht allein auf das Urheberrecht verlassen, sondern ergänzend gewerbliche Schutzrechte wie das Designrecht oder Markenrecht nutzen, um ihre Produkte vor Nachahmungen zu schützen.
Für einen erfolgreichen urheberrechtlichen Schutzanspruch ist eine detaillierte Dokumentation der Designentwicklung erforderlich. Hierzu gehören unter anderem Belege für den kreativen Schaffensprozess sowie Gutachten zur Gestaltungshöhe.
Für Wettbewerber bedeutet das Urteil, dass sie sich stärker an existierenden Designvorlagen orientieren können, ohne zwangsläufig eine Urheberrechtsverletzung zu begehen. Dies könnte insbesondere in der Modebranche zu einer verstärkten Nutzung von Designs führen, die bislang als geschützt galten.
Quelle: Bundesgerichtshof (BGH); AZ I ZR 16/24;20.02.2025
Vorinstanzen:
LG Köln, Urteil vom 11. 05 2023 – 14 O 39/22
OLG Köln, Urteil vom 26. 01. 2024 – 6 U 86/23