Die wirtschaftliche Bedeutung von visuellen Inhalten, insbesondere Fotografien, ist für Verlagshäuser und mediennahe Unternehmen kaum zu überschätzen. Mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 18. Juni 2025 (Az. I ZR 82/24) hat das höchste deutsche Zivilgericht seine Rechtsprechung zur urheberrechtlichen Beteiligung und zur Auskunftspflicht im Kontext der werblichen Werkverwertung konkretisiert. Im Zentrum des Falls steht ein Portraitfoto, das in großem Stil auf Produktverpackungen verwendet wurde – und der Streit darüber, ob dem Fotografen hierfür eine weitergehende Vergütung und detaillierte Auskünfte zustehen. Für Geschäftsführer und Inhaber von Verlagen birgt das Urteil bedeutende rechtliche und wirtschaftliche Implikationen.
Im Kern des Falls stand die Frage, ob einem professionellen Fotografen ein Anspruch auf weitergehende Vergütung und umfangreiche Auskünfte zusteht, wenn ein von ihm aufgenommenes Foto unerwartet umfangreich und werblich verwertet wird. Die Beklagte – ein Unternehmen im Bereich Fitnessprodukte und Nahrungsergänzungsmittel – hatte das Portraitfoto ihrer Geschäftsführerin, das im Rahmen eines Shootings im Juli 2011 entstanden war, auf der Verpackung von etwa 25 verschiedenen Produktkategorien eingesetzt. Das Foto war versehen mit dem Namen und der Unterschrift der Geschäftsführerin und wurde über Online-Shops, Teleshopping und Lizenzpartner vertrieben.
Der Fotograf stellte für das Shooting damals lediglich 180 € in Rechnung – ein Betrag, der laut seiner Darstellung nur vier Stunden Arbeit abdeckte und auf eine begrenzte Nutzungsabsicht (Trainingsplan) ausgelegt war. Die spätere massive kommerzielle Verwertung war für ihn nicht absehbar.
Der Kläger forderte nunmehr umfassende Auskunft über die Nutzung des Fotos sowie eine nachträgliche angemessene Vergütung gemäß § 32a UrhG ("Fairnessausgleich") sowie § 32d UrhG (Auskunftspflicht bei Nutzung). Während das Landgericht München I die Klage zunächst abwies, gab das OLG München dem Fotografen in weiten Teilen Recht. Die Revision der Beklagten führte beim BGH jedoch zu einer teilweisen Aufhebung des Berufungsurteils, insbesondere hinsichtlich des Aspekts der Verwirkung des Vergütungsanspruchs.
Der BGH stellte klar: Ein Auskunftsanspruch gemäß § 32d Abs. 1 UrhG ist grundsätzlich gegeben, wenn ein urheberrechtlich geschütztes Werk entgeltlich genutzt wird. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen das Werk (das Portraitfoto) für Marketingzwecke verwendet wird, kommt es laut Gericht besonders auf dessen "werbliche Bedeutung für den Produktabsatz" an. Der BGH betonte: „Die visuelle Wiedererkennbarkeit der Produkte der Beklagten anhand des Lichtbilds ihrer Geschäftsführerin spielt wirtschaftlich \[...] eine erhebliche Rolle.“
Diese ökonomische Betrachtung führte dazu, dass der Auskunftsanspruch des Fotografen auch im Hinblick auf die werbliche Verwertung anerkannt wurde. Der Bundesgerichtshof hielt dabei ausdrücklich fest, dass ein „auffälliges Missverhältnis“ zwischen der vereinbarten Vergütung (180 €) und den durch die Nutzung des Fotos erzielten Vorteilen vorliegen könne. Der wirtschaftliche Wert des Bildes – bezogen auf die Vielzahl der Produktverwendungen – übersteige die ursprüngliche Vergütung deutlich.
Allerdings hob der BGH auch hervor, dass der Anspruch auf Vertragsanpassung gemäß § 32a UrhG verwirkt sein könne. Die Beklagte brachte vor, der Fotograf habe die langjährige Nutzung des Fotos gekannt und über Jahre hinweg nicht beanstandet, sondern regelmäßige Honorare für andere Tätigkeiten erhalten. Das Gericht betonte hierzu: „Die Verwirkung schließt als ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung die illoyal verspätete Geltendmachung eines Rechts aus.“
Da diese Verwirkungseinrede auf unstreitigen Tatsachen beruhte und vom Kläger nicht bestritten wurde, hätte das Berufungsgericht diesen Einwand zulassen und prüfen müssen. Infolgedessen wurde das Urteil des OLG München in Teilen aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Das Urteil hat wesentliche Auswirkungen auf die Praxis der Rechteverwertung:
Auskunftspflichten stärken die Position von Urhebern: Verlage müssen bei werblicher oder wirtschaftlich bedeutender Nutzung von Bildern und Texten künftig verstärkt mit Auskunftsansprüchen rechnen – auch bei älteren Verträgen.
Angemessenheit der Vergütung wird neu bewertet: Eine ursprünglich niedrige Pauschalvergütung kann später als unangemessen gelten, wenn das Werk intensiver genutzt wird als ursprünglich vereinbart.
Verwirkung bleibt als Einwand möglich: Urheber müssen ihre Ansprüche zeitnah geltend machen. Andernfalls droht der Verlust auch berechtigter Nachforderungen.
Für Verlage bedeutet das: Rechteklärung, Vertragsdokumentation und Nutzungsüberwachung müssen sorgfältig und zukunftssicher gestaltet sein.
Quelle:
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. Juni 2025
Aktenzeichen: I ZR 82/24
Vorinstanzen:
Landgericht München I, Urteil vom 25. Oktober 2021 – 42 O 18987/19
Oberlandesgericht München, Urteil vom 21. März 2024 – 29 U 8077/21