Leitsätze:
Im Fall der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach § 945 ZPO scheidet eine Bindungswirkung des die Verfügung aufhebenden Urteils jedenfalls dann aus, wenn es sich um ein Verzichtsurteil handelt, das nicht mit Gründen versehen ist.
1. Eine zur Entstehung des Titelschutzes an einem Computerprogramm erforderliche Ingebrauchnahme des Titels durch Aufnahme des Vertriebs des fertigen Programms oder eine der Auslieferung des fertigen Produkts unmittelbar vorausgehende werbende Ankündigung liegt nicht in der mit dem Vertrieb einer - mit einem anderen Titel versehenen - englischsprachigen Version des Programms verbundenen Ankündigung der alsbald folgenden Auslieferung der deutschen Version unter dem beabsichtigten Titel.
2. Fehlt es bei neu entstehenden werktitelschutzfähigen Produkten (noch) an einer einheitlichen Praxis für eine Werktitelankündigung (formalisierte Titelschutzanzeige), sind an eine öffentliche Ankündigung in anderer Weise - sofern man sie grundsätzlich zuläßt - jedenfalls strenge Anforderungen zu stellen, die es ermöglichen, daß die interessierten Mitbewerber von einer derartigen Ankündigung auf einfachem Wege Kenntnis erlangen können. Hierzu reichen übliche Werbemaßnahmen einschließlich der Herausgabe von Pressemitteilungen in der Regel nicht aus.
BGH, Urteil vom 15.01.1998 - I ZR 282/95 - WINCAD (Werktitelschutz für Computerprogramme)
ZPO § 945; MarkenG § 5 Abs. 3
Der Tatbestand
Der Kläger entwickelt und vertreibt Computersoftware, unter anderem ein EDV-Programm "WINCAD". Er ist Inhaber des am 10. Oktober 1990 angemeldeten und am 4. März 1993 für Computerprogramme eingetragenen Wortzeichens Nr. 2 031 702 "WINCAD" sowie des für die gleichen Waren eingetragenen Zeichens Nr. 1 187 201 "WINDCAD", angemeldet am 28. August 1990 und eingetragen am 12. März 1993.
Die Beklagte vertreibt ein EDV-Programm unter der Bezeichnung "WinCAD drafix" bzw. "drafix WinCAD". Aufgrund einer Anmeldung vom 19. Dezember 1990 wurde für sie am 1. März 1991 das Wortzeichen Nr. 2 000 664 "WinCAD" beschleunigt als Warenzeichen eingetragen; das Zeichen ist aufgrund eines Widerspruchs des Klägers inzwischen gelöscht. Die Beklagte beansprucht für die Bezeichnung "Win-CAD" einen durch öffentliche Ankündigung und Benutzungsaufnahme vor dem 28. August 1990 entstandenen, vorrangigen Werktitelschutz.
Am 18. März 1991 wurde auf Antrag der Beklagten eine einstweilige Verfügung erlassen, wonach es dem Kläger verboten wurde, die Bezeichnung "WINCAD" in Verbindung mit dem Vertrieb von Softwareprodukten zu benutzen. In der auf den Widerspruch des Klägers anberaumten mündlichen Verhandlung erklärte die Beklagte, daß sie auf die Rechte aus der einstweiligen Verfügung verzichte. Auf Antrag des Klägers erging das nicht mit Gründen versehene Verzichtsurteil vom 24. April 1991, durch das die einstweilige Verfügung aufgehoben und der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen wurde.
Nunmehr begehrt der Kläger Schadensersatz wegen Vollziehung der einstweiligen Verfügung. Er macht geltend, wegen des Verzichts der Beklagten auf ihre Rechte aus der Verfügung stehe fest, daß bereits im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung der behauptete Verfügungsanspruch nicht gegeben gewesen sei. Das Landgericht habe aufgrund des Verzichts die Verfügung auch als von Anfang an unberechtigt aufgehoben. Diese Aufhebung binde das Schadensersatzgericht. Hiervon abgesehen stehe der Beklagten ein Werktitelrecht an der Bezeichnung "WINCAD" mit Zeitrang vor dem 28. August 1990 nicht zu. Die Beklagte habe vor diesem Zeitpunkt kein funktionierendes Programm unter der Bezeichnung zur Verfügung gehabt. Eine formelle Titelschutzanzeige für Software habe es im Jahre 1990 nicht gegeben. Der Schutz von Softwarebezeichnungen könne durch die Auslieferung von bloßen Testversionen eines Programms nicht vorverlegt werden. Die Beklagte habe auch nicht einen einzigen Titel angekündigt, sondern eine Vielzahl von Bezeichnungen. Schließlich habe sie den Vertrieb der von ihr angekündigten Software auch nicht innerhalb einer angemessenen Frist aufgenommen.
Durch die Vollziehung der Verbotsverfügung sei ihm, dem Kläger, aus entgangenem Gewinn und wegen Mehraufwendungen ein Schaden von insgesamt 249.686,81 DM entstanden, dessen Zahlung nebst Zinsen er von der Beklagten begehrt.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat vorgetragen, sie habe als sogenannter Re-Publisher von einer amerikanischen Firma das Recht erworben, deren Softwareprogramm "Drafix Windows CAD" in Deutschland herzustellen und zu vertreiben. Zu ihrer Aufgabe habe es auch gehört, einen Namen für die deutsche Version des Programms zu finden. Bereits im April 1990 habe sie sich entschlossen, das Programm unter der Bezeichnung "WinCAD drafix" zu vertreiben. Diese Kennzeichnung stelle einen nach § 16 Abs. 1 UWG geschützten Werktitel dar. Der Titel "WinCAD" besitze die nötige Unterscheidungskraft und sei von ihr, der Beklagten, auch in Benutzung genommen worden. Sie habe seit Mai 1990, jedenfalls vor dem 28. August 1990, die Software branchenüblich angekündigt. Seit August 1990 habe sie ihr Programm einheitlich als "WinCAD" bezeichnet und seit dem 25. Oktober 1990 die Software dann auch ausgeliefert. Ihr habe deshalb ein besseres Recht zugestanden, so daß sie im Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Verfügung berechtigt gewesen sei, vom Kläger Unterlassung der Benutzung der Bezeichnung "WinCAD" zu verlangen. Die materielle Rechtslage sei im Rahmen des § 945 ZPO auch von Bedeutung, da dem die einstweilige Verfügung aufhebenden Verzichtsurteil keine Bindungswirkung zukomme.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben (OLG München WRP 1995, 872).
Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch aus § 945 ZPO mit der Begründung verneint, daß der Beklagten der geltend gemachte Unterlassungsanspruch bei Erlaß der einstweiligen Verfügung zugestanden habe. Dazu hat es ausgeführt:
Die Überprüfung der materiellen Rechtslage im Schadensersatzverfahren erübrige sich nicht, weil der Schadensersatzrichter gebunden sei, wenn eine auf den Widerspruch ergangene Entscheidung im Verfügungsverfahren die erlassene Eilentscheidung wegen anfänglich fehlenden Verfügungsanspruchs aufhebe. Im vorliegenden Fall scheide eine Bindungswirkung jedenfalls schon deshalb aus, weil ein Verzichtsurteil ergangen sei, das keine Gründe enthalte.
Der Unterlassungsanspruch habe der Beklagten zugestanden. Bezeichnungen für Softwareprodukte seien Werktitel i.S. von § 5 Abs. 3 MarkenG, an denen die Beklagte Schutz erlangt habe. Sie habe für die von ihr für den Vertrieb vorgesehene Computersoftware die Bezeichnung "WinCAD" benutzt und zwar in der Form von "Drafix Windows CAD" ("Win-CAD") und ab Juli 1990 ausschließlich als "WinCAD drafix" und als "drafix WinCAD". Die Beklagte habe demnach die Abkürzung "WinCAD" mit dem Zusatz "drafix" vor- oder nachgestellt ersichtlich zur Kurzbezeichnung ihrer Software machen wollen. Ob die amerikanische Lieferantin der Beklagten das Herstellungs- und Vertriebsrecht eingeräumt habe und ob diese die Bezeichnung der Software habe ändern dürfen, sei unerheblich, weil es ausschließlich um die Frage gehe, ob die Beklagte durch die tatsächliche Ingebrauchnahme des Titels, die der Verkehr ihr und nicht der amerikanischen Firma zugerechnet habe, ein eigenes Titelschutzrecht habe begründen können. Die Beklagte habe den Titel "WinCAD" mit dem Zusatz "drafix" in Vor- oder Nachstellung vor dem 12. Juli 1990 in Benutzung genommen. Sie habe unter ihm ihre Software angekündigt und beworben. Auch wenn die Beklagte ihr Programm tatsächlich erst seit dem 25. Oktober 1990 ausgeliefert habe, sei das Recht an dem Titel bereits vor dem 27. August 1990 begründet worden. Für das Entstehen des Werktitelrechts genüge - auch nach Inkrafttreten des Markengesetzes - die öffentliche Ankündigung des Werks unter dem Titel in branchenüblicher Weise, wenn das Werk in angemessenem zeitlichen Abstand in den Verkehr gebracht werde.
Die Ankündigungen und die Werbung der Beklagten seien als branchenüblich anzusehen, auch wenn es eine einheitliche Praxis für solche Ankündigungen - vergleichbar den Titelschutzanzeigen für Bücher im "Deutschen Börsenblatt" - für Software im Jahre 1990 noch nicht gegeben habe. Das Computerprogramm der Beklagten sei nach den Ankündigungen von Anfang August 1990 durch Auslieferung seit dem 25. Oktober 1990 auch in angemessenem zeitlichen Abstand in Verkehr gebracht worden. Ein Zeitraum von zwei Monaten erfülle diese Voraussetzung. Unschädlich sei, daß das Programm anfangs nur in der englischen Version ausgeliefert worden sei, da im Softwarebereich die hauptsächlich benutzte Verkehrssprache Englisch sei und im übrigen Titelschutz in Deutschland auch für eine englische Programmversion begründet werden könne. Demgegenüber hätten die Marken des Klägers erst einen Zeitrang vom 10. Oktober 1990 bzw. 28. August 1990. Beide jüngeren Marken seien verwechslungsfähig mit der von der Beklagten benutzten Bezeichnung "WinCAD". Dem Titel komme für Computerprogramme die erforderliche Unterscheidungskraft zu. Dem Zusatz "drafix", der sowohl vor- als auch nachstehend gebraucht worden sei, messe der Verkehr keine besondere Bedeutung zu.
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, daß bei der Beurteilung des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs nach § 945 ZPO ungeachtet des die einstweilige Verfügung aufhebenden Verzichtsurteils zu prüfen ist, ob der Beklagten bei Erlaß der einstweiligen Verfügung der dort geltend gemachte Unterlassungsanspruch (von Anfang an) materiell-rechtlich zugestanden hat. Denn dem Verzichtsurteil kommt insoweit keine Bindungswirkung zu.
Zwar wird in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten, daß einem formell rechtskräftig gewordenen Urteil im Verfügungsverfahren Bindungswirkung insoweit zukommen könne, als es den Verfügungsanspruch verneint und deshalb die bereits erlassene Verfügung aufhebt (RGZ 58, 236; BGHZ 62, 7, 10 f.; 75, 1, 5; BGH, Urt. v. 7.6.1988 - IX ZR 278/87, NJW 1988, 3268 f.; Urt. v. 26.3.1992 - IX ZR 108/91, NJW 1992, 2297, 2298; vgl. auch G. Fischer, Festschrift Merz, S. 81, 91). Eine solche rechtskräftige Aufhebung soll den Schadensersatzrichter bei der Prüfung, ob die Anordnung der einstweiligen Verfügung von Anfang an ungerechtfertigt gewesen ist (§ 945 Altern. 1 ZPO), binden können. Ob dieser Ansicht, die auf erhebliche Kritik gestoßen ist (vgl. u.a.: Ahrens, Festschrift Piper, S. 31; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 945 Rdn. 27 ff.; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7. Aufl., Kap. 36 Rdn. 18 ff.; Thomas/Putzo, ZPO, 20. Aufl., § 945 Rdn. 9; Zöller/Vollkommer, ZPO, 20. Aufl., § 945 Rdn. 9, jeweils m.w.N.), beizutreten ist, hat der Senat bisher offengelassen (zuletzt BGH, Urt. v. 28.11.1991 - I ZR 297/89, GRUR 1992, 203, 205 - Roter mit Genever; BGHZ 126, 368, 374 - Fortsetzungsverbot, m.w.N.). Diese Frage kann auch im Streitfall auf sich beruhen.
Eine Bindungswirkung scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei dem die einstweilige Verfügung vom 18. März 1991 aufhebenden Urteil um ein Verzichtsurteil handelt, das nach § 313 b ZPO nicht mit Gründen versehen ist.
Auch nach Ansicht derjenigen, die von einer Bindungswirkung des Schadensersatzrichters ausgehen, kommt diese nur in Betracht, wenn den Gründen des die einstweilige Verfügung aufhebenden Urteils entnommen werden kann, daß sich die einstweilige Verfügung als von Anfang an unberechtigt erwiesen hat (vgl. Fischer a.a.O. S. 89). Fehlt es, wie bei dem im Streitfall in Frage stehenden Verzichtsurteil, an den entsprechenden Feststellungen in den Urteilsgründen, entfällt auch nach der vorerwähnten Auffassung die Voraussetzung für eine Bindung. Ein Verzichtsurteil ist ohne Prüfung des materiellen Anspruchs zu erlassen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 56. Aufl., § 306 Rdn. 5, 6; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 306 Rdn. 6). Wie der Senat zum vergleichbaren Fall eines Versäumnisurteils gegen den Antragsteller entschieden hat (BGH, Urt. v. 7.5.1971 - I ZR 148/69, WM 1971, 1129, 1130), entfaltet das eine einstweilige Verfügung aufhebende Urteil unter solchen Voraussetzungen keine Bindungswirkung im nachfolgenden Schadensersatzprozeß.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts erweist sich die einstweilige Verfügung vom 18. März 1991 als von Anfang an ungerechtfertigt i.S. des § 945 ZPO, da der Beklagten der im Verfügungsverfahren geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zustand.
Im Ergebnis ohne Auswirkungen ist der unzutreffende rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, das seiner Prüfung § 5 Abs. 3 MarkenG anstelle von § 16 UWG zugrunde gelegt hat.
Denn die vom Berufungsgericht herangezogene Vorschrift des Markengesetzes enthält - was auch die Revision nicht verkennt - gegenüber § 16 UWG keine substantiellen Änderungen, die Vorschriften entsprechen sich vielmehr in ihrem sachlichen Gehalt (Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 12/6581 S. 67, 76; BGHZ 130, 276, 280 - Torres; BGH, Urt. v. 24.4.1997 - I ZR 233/94, GRUR 1997, 902, 903 WRP 1997, 1181, 1182 - FTOS; Urt. v. 24.4.1997 I ZR 44/95, WRP 1997, 1184, 1185 - PowerPoint), so daß allein wegen der unzutreffenden Bezugnahme auf die neue Vorschrift die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht als fehlerhaft zu erachten ist.
Der von der Beklagten mit der Unterlassungsverfügung geltend gemachte Anspruch scheidet auch nicht - anders als die Revision meint - deshalb aus, weil Computerprogramme nicht titelschutzfähig seien. Wie der Senat in seinen Entscheidungen vom 24. April 1997 (GRUR 1997, 902 = WRP 1997, 1181 - FTOS; WRP 1997, 1184 - PowerPoint) ausgeführt hat, sind die Bezeichnungen, unter denen ein Computerprogramm in den Handel kommt, dem Werktitelschutz nach § 5 Abs. 1 und 3, § 15 MarkenG zugänglich. Nichts anderes gilt für die Anwendung des § 16 UWG (vgl. auch BGHZ 121, 157, 158 f. - Zappel-Fisch).
Mit Erfolg rügt die Revision aber, daß das Berufungsgericht die Voraussetzungen für das Entstehen des Werktitelschutzes vor dem für den Zeitrang der ältesten Marke des Klägers maßgeblichen Tag (28. August 1990) nicht rechtsfehlerfrei bejaht hat.
aa) Der Werktitelschutz aus § 16 UWG entsteht grundsätzlich mit der tatsächlichen Aufnahme der Benutzung des Werktitels, vorausgesetzt, dieser besitzt, wovon das Berufungsgericht im Streitfall rechtsfehlerfrei und von der Revision unbeanstandet ausgegangen ist, die nötige Unterscheidungskraft. Eine solche Ingebrauchnahme des Titels vor dem hier maßgeblichen Zeitpunkt, dem 28. August 1990, hat das Berufungsgericht allerdings nicht festgestellt. Es ist davon ausgegangen, daß eine Version (englisch oder deutsch) erst seit dem 25. Oktober 1990 und damit nach dem Anmeldetag der Marken des Klägers vertrieben worden sei.
Eine titelschutzbegründende Ingebrauchnahme des Werktitels kann nicht im Vertrieb der englischsprachigen Software ab Juli 1990 gesehen werden. Zwar hat die Beklagte nach ihrem Vortrag seit Juli 1990 die englischsprachige Version des Computerprogramms vertrieben und mit einem Coupon für die deutsche Version "WinCAD" versehen sowie in die Preisliste seit 1. August 1990 die Ankündigung "WinCAD drafix" englisch/deutsche Version aufgenommen. Da die englischsprachige Originalsoftware jedoch nicht den Titel "WinCAD", sondern den Titel "Drafix Windows CAD" trägt und dies nach den Ausführungen der Beklagten auch den Fachkreisen bekannt gewesen ist, konnte der Vertrieb dieser Software keinen Titelschutz für "WinCAD" begründen.
bb) Ausnahmsweise kann allerdings, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, eine Vorverlagerung des Titelschutzes in Betracht kommen. Nach der Rechtsprechung des Senats wird die öffentliche Ankündigung des Werks unter seinem Titel der tatsächlichen Benutzungsaufnahme durch das Erscheinen des Werks gleichgestellt, wenn das Werk nach der Ankündigung in angemessener Frist unter dem Titel erscheint (BGHZ 108, 89, 92 - Titelschutzanzeige, m.w.N.). Voraussetzung hierfür ist grundsätzlich, daß das Werk in branchenüblicher Weise öffentlich angekündigt wird. Dies erfolgt im Bereich der Druckschriften durch eine formalisierte Titelschutzanzeige, z.B. im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels. Die Titelankündigung wird dann rechtlich bereits als Benutzung für das konkrete Werk gewertet (BGHZ 108, 89, 94 - Titelschutzanzeige). Eine derartige öffentliche Ankündigung läßt sich aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht bejahen.
Das Berufungsgericht hat dazu unbeanstandet festgestellt, daß es jedenfalls im Jahre 1990 keine einheitliche Praxis für Werktitelankündigungen in der Softwarebranche gegeben hat. Fehlt es aber an einer einheitlichen Praxis, kann von einer branchenüblichen Ankündigung nicht die Rede sein.
Ob eine öffentliche Ankündigung auf anderen Warengebieten als dem der Druckschriften ebenfalls nur durch eine - im Streitfall nicht erfolgte - formalisierte Titelschutzanzeige in einem leicht kontrollierbaren fachspezifischen Anzeigenorgan erfolgen kann (so Teplitzky, GRUR 1993, 645, 646; Meyer, WRP 1995, 799, 800), kann hier offenbleiben. Selbst wenn im Falle einer (noch) nicht bestehenden Titelschutzanzeigenpraxis eine ausreichende öffentliche Ankündigung in einem für den beteiligten Verkehr leicht kontrollierbaren Anzeigenorgan für möglich erachtet wird, weil eine einheitliche Praxis gerade bei neu entstehenden Produkten nicht von vornherein verlangt werden kann, reichen die vom Berufungsgericht festgestellten Umstände im Streitfall jedenfalls nicht aus.
An die öffentliche Ankündigung sind strenge Anforderungen zu stellen (BGHZ 108, 89, 97 f. - Titelschutzanzeige). Im Hinblick auf die neben dem Interesse des Berechtigten gleichermaßen zu wahrenden Interessen der von der Vorverlegung betroffenen Verkehrskreise reicht nicht jede irgendwie öffentlich zugängliche Ankündigung aus. Die weitreichenden Folgen, die mit der Ankündigung verbunden sind, erfordern es grundsätzlich, nur solche Ankündigungen ausreichen zu lassen, die in branchenüblicher Weise veröffentlicht worden sind. Aufgrund einer solchen öffentlichen Ankündigung muß mit der Möglichkeit einer breiten Kenntnisnahme durch die interessierten Konkurrenten gerechnet werden können. Diese müssen auf einfache Weise von derartigen Ankündigungen Kenntnis erlangen können, ohne gezwungen zu sein, in der allgemeinen Presse oder in anderen Medien nach entsprechenden Ankündigungen zu recherchieren (vgl. BGHZ 108, 89, 97 f. - Titelschutzanzeige; Teplitzky, GRUR 1993, 645, 646). Mit Erfolg beanstandet die Revision, daß das Berufungsgericht diese Voraussetzungen verkannt habe.
Es hat ausreichen lassen, daß "WinCAD drafix" in einer Preisliste seit dem 1. August 1990 und in einer Broschüre, von der eine Firma G. S. am 2. August 1990 1.000 Exemplare bestellt hat, als Softwarename genannt wird, und daß die Beklagte, ebenfalls vor dem 27. August 1990, Einladungen zu einem Einführungstraining unter der Überschrift "Der neue Drafix-WinCAD-Einführungstermin steht" versandt habe. Bei diesen Vorgängen handelt es sich aber allenfalls um Werbe- bzw. Vorbereitungshandlungen, mit denen das Programm zum Zweck des Verkaufs zunächst bekanntgemacht werden sollte. Als öffentliche Ankündigungen, die Bezeichnung "WinCAD" als Titel für ein Computerprogramm in Anspruch nehmen zu wollen, sind diese Handlungen - entgegen der Annahme der Revisionserwiderung - nicht geeignet. Weder bezüglich der Einladungen noch für die Preislisten oder für die Werbebroschüren hat das Berufungsgericht etwas über deren tatsächliche Verbreitung im Verkehr festgestellt. Deshalb kann nicht angenommen werden, daß diese Maßnahmen in dem erforderlichen breiten Umfang von den interessierten Konkurrentenkreisen als Ankündigung der Inanspruchnahme eines Titelschutzes angesehen werden konnten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes reichen selbst redaktionelle Beiträge als öffentliche Ankündigung nicht aus (BGHZ 108, 89, 96 ff. - Titelschutzanzeige), weil die interessierten Kreise nicht gezwungen werden können, die allgemeine Presse oder andere Medien auf entsprechende Meldungen zu beobachten. Für die im Streitfall in Rede stehenden Einladungen zu Schulungskursen und für die nicht besonders umfangreiche Werbung, die noch weniger weit verbreitet wurden als redaktionelle Pressemitteilungen, kann nichts anderes gelten. Die Auferlegung einer Beobachtungspflicht auch für derartige Handlungen wäre den Konkurrenten der Beklagten schlechthin unzumutbar.
Auch die Pressemitteilung der Beklagten vom 30. Mai 1990, die das Berufungsgericht nur am Rande erwähnt, die Revisionserwiderung dagegen in den Mittelpunkt ihrer Erwägungen gestellt hat, scheidet als öffentliche Ankündigung aus. Selbst wenn sie, was vom Berufungsgericht nicht festgestellt, von der Beklagten jedoch vorgetragen worden ist, in der Kundenzeitschrift eines Computerfachhändlers mit Filialen in 20 Städten Deutschlands in einer Auflage von 35.000 Exemplaren veröffentlicht worden ist, würde dies nicht den von der Rechtsprechung gestellten strengen Anforderungen genügen. Denn mit der Kenntnisnahme einer derartigen Veröffentlichung durch die Konkurrenten der Beklagten kann nicht mit ausreichender Sicherheit gerechnet werden, weil die Veröffentlichung - anders als bei einer Anzeige - mehr zufällig erscheint und die interessierten Verkehrskreise mit einer Titelankündigung im redaktionellen Teil einer Werbebroschüre nicht zu rechnen brauchen.
Auch eine Vorverlagerung des Entstehens des Werktitelschutzes - für das bis dahin noch nicht übersetzte deutschsprachige Softwareprogramm "WinCAD" - durch Vertrieb der englischsprachigen Version scheidet aus. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung kann eine Ingebrauchnahme der deutschsprachigen Software auch nicht darin gesehen werden, daß ab Juli 1990 die englische Version zusammen mit einem Coupon für die alsbald folgende deutsche Version "WinCAD" vertrieben worden ist, das Programm also mit seinen spezifischen Eigenheiten danach bereits fertiggestellt war und nach dem Vortrag der Beklagten nur noch der Übersetzung ins Deutsche bedurfte.
Nach der Rechtsprechung des Senats liegt die schutzbegründende Ingebrauchnahme eines Werktitels regelmäßig erst dann vor, wenn das Werk (hier: die deutschsprachige Version des Programms) unter seinem Titel ("WinCAD") existent ist. Demnach ist für die Entstehung des Werktitelschutzes der Vertrieb des fertigen, mit der fraglichen Bezeichnung versehenen Produkts oder eine der Auslieferung unmittelbar vorangehende werbende Ankündigung erforderlich. Dagegen reichen rein intern bleibende Vorbereitungs- und Herstellungsmaßnahmen nicht aus (BGH GRUR 1997, 902, 903 = WRP 1997, 1181, 1183 - FTOS).
Demnach kann in der von der Beklagten behaupteten Auslieferung des englischsprachigen Programms an fünf Kunden im Juli und August 1990 nicht eine Ingebrauchnahme des Titels für das deutschsprachige Werk gesehen werden. Die deutschsprachige Version des Programms war zwar, worauf die Beklagte zutreffend hinweist, in ihren wesentlichen Grundzügen bereits in der englischsprachigen Version enthalten. Ein wesentlicher Teil, nämlich die Übersetzung in die deutsche Sprache, fehlte jedoch noch. Die Auslieferung der englischsprachigen Version erfolgte nur vorübergehend und diente dazu, Händlern und Kunden vor Einführung der endgültigen deutschsprachigen Version bereits einen Überblick über die Möglichkeiten des Programms für ihre Zwecke oder aber zu Werbezwecken zu geben. Die Auslieferung der englischsprachigen Programmversion ist somit noch der Herstellungsphase der deutschsprachigen Version des Programms, für die Titelschutz in Anspruch genommen wird, zuzurechnen. Diese Gegebenheiten entsprechen der Auslieferung eines neu entwickelten Programms zunächst nur in einer Pilotversion zur Erprobung im Echtbetrieb, in der eine Ingebrauchnahme des Werktitels nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht gesehen werden kann (BGH GRUR 1997, 902, 903 = WRP 1997, 1181, 1183 - FTOS).
Auf die gegen die weitere Annahme des Berufungsgerichts gerichteten Angriffe der Revision, das Inverkehrbringen des Werks sei in angemessenem zeitlichen Abstand nach den Ankündigungen im August 1990 erfolgt, kommt es danach nicht mehr an.
III. Danach war das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache, da das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - die Frage der Schadenshöhe bisher nicht geprüft hat, zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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Dr. Frank Remmertz, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und IT Recht in München
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