Generalanwalt Gerard Hogan schlägt dem EuGH vor, zu entscheiden, dass die deutschen Vorschriften, wonach Suchmaschinen verboten ist, Teile von Presseerzeugnissen ohne vorherige Erlaubnis des Verlegers zugänglich zu machen, nicht angewandt werden dürfen.Diese Vorschriften hätten von der EU-Kommission notifiziert werden müssen, da sie eine technische Vorschrift darstellen, die speziell auf einen besonderen Dienst der Informationsgesellschaft abzielt, nämlich die Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen durch die Verwendung von Internet-Suchmaschinen, so der Generalanwalt.
Im Jahr 2013 führte Deutschland ein dem Urheberrecht verwandtes Schutzrecht für Presseverleger ein, ohne den Gesetzesentwurf der EU-Kommission zu übermitteln. Die neuen Vorschriften (§§ 87f und 87h UrhG) sehen vor, dass gewerbliche Anbieter von Internet-Suchmaschinen (und gewerbliche Anbieter von Diensten, die Inhalte entsprechend aufbereiten), im Gegensatz zu sonstigen – auch gewerblichen – Nutzern, ohne Genehmigung nicht berechtigt sind, Teile von Text-, Bild- oder Videoinhalten (ausgenommen einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte) zugänglich zu machen. VG Media ist eine Gesellschaft zur Verwertung der Urheber- und Leistungsschutzrechte für u.a. Presseverleger und nimmt deren Rechte für sie wahr. VG Media erhob namens ihrer Mitglieder beim LG Berlin eine Klage auf Schadensersatz, weil Google vom 01.08.2013 an unentgeltlich Textteile, Bilder und Videos von Presse- und Medieninhalten genutzt habe (durch die Suchmaschine Google Suche unter den Domains www.google.de und www.google.com und durch den Dienst Google News, der in Deutschland unter news.google.de oder news.google.com gesondert abgerufen werden kann), die von Mitgliedern von VG Media hergestellt worden seien.
Das LG Berlin hält die Klage von VG Media für zumindest teilweise begründet. Der Ausgang des bei ihm anhängigen Rechtsstreits hänge davon ab, ob die neuen deutschen Vorschriften als technische Vorschrift, die speziell auf einen Dienst in der Informationsgesellschaft abzielt, anzusehen seien und daher als eine Vorschrift, die der EU-Kommission nach der RL 98/34 (RL98/34/EG über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft, ABl. 1998, L 204, 37, in der Fassung der RL 2006/96/EG zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich freier Warenverkehr anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens, ABl. 2006, L 363, 81) hätte notifiziert werden müssen, um anwendbar zu sein. Diesbezüglich ersucht es den EuGH daher um Auslegung der Richtlinie.
Generalanwalt Gerard Hogan vertritt in seinen Schlussanträgen die
Auffassung, dass die fraglichen neuen deutschen Vorschriften über ein
dem Urheberrecht verwandtes Schutzrecht für Presseverleger einer
technischen Vorschrift im Sinne der RL 98/34 gleichkommen.
Nach Auffassung des Generalanwalts können sie nicht einfach als Äquivalent einer Voraussetzung angesehen werden, die wie etwa das Erfordernis einer vorherigen Erlaubnis die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit regele. Ihre praktische Wirkung bestehe darin, die Erbringung des Dienstes auf Betreiben des Presseverlegers entweder einer Verbotsanordnung oder einer Geldforderung zu unterwerfen. Es treffe natürlich zu, dass der Anbieter der Suchmaschine die Urheberrechtsausnahme nutzen könne, jedoch nur, wenn sich die Veröffentlichung auf wenige Wörter oder einen sehr kleinen Ausschnitt beschränke. Der Generalanwalt ist außerdem der Ansicht, dass die fraglichen deutschen Vorschriften speziell auf Dienste der Informationsgesellschaft abzielen.
Hauptziel und -gegenstand dieser Vorschriften sei es, sich
angesichts der Tatsache, dass Medieninhalte zunehmend online gelesen und
aufgerufen würden, der Auswirkungen von Internetsuchmaschinen
anzunehmen und eine besondere urheberrechtliche Regelung über die
Erbringung von Online-Diensten in Bezug auf Presseerzeugnisse durch
Anbieter solcher Suchmaschinen vorzusehen.
Generalanwalt Hogan akzeptiert, dass die fraglichen Vorschriften
erlassen worden seien, um die Rechte des geistigen Eigentums der
Presseverleger zu stärken und infolgedessen sowohl Medienvielfalt als
auch Pressefreiheit zu fördern. Die Allgegenwart des Internets und der
weit verbreitete Zugang zu Computern und Smartphones hätten dazu
geführt, dass sich im Laufe einer halben Generation bisher seit Langem
bestehende Verbrauchergewohnheiten bezüglich des Konsums von
Medienerzeugnissen – nicht zuletzt bezüglich des tatsächlichen
Zeitungskaufs – dramatisch verändert hätten.
Die Gesetzgeber in jedem Mitgliedstaat seien daher grundsätzlich
berechtigt gewesen, auf diese Änderung der Verbrauchergewohnheiten zu
reagieren. Eine freie und lebendige Presse sei Teil des Lebenssaftes der
Demokratie, die den Grundstein der Union und ihrer Mitgliedstaaten
darstelle. Es sei einigermaßen unrealistisch, einen Journalismus von
hoher Qualität und Vielfalt zu erwarten, der sich an die höchsten
Standards der Medienethik und des Respekts vor der Wahrheit halte, wenn
Zeitungen und andere Pressekanäle nicht über einen nachhaltigen
Einkommensstrom verfügten. Es wäre töricht und naiv, nicht zu erkennen,
dass das tradierte Geschäftsmodell von Zeitungen in der gesamten Union –
Verkauf und Werbung – in den letzten zwanzig Jahren durch die
Online-Zeitungslektüre der Konsumenten ausgehöhlt worden sei, wobei
diese Praxis ihrerseits durch das Aufkommen leistungsstarker
Suchmaschinen wie der von Google betriebenen erleichtert worden sei.
Dies bedeute jedoch weder, dass ein Mitgliedstaat berechtigt sei,
die Notifizierungserfordernisse der RL 98/34 zu umgehen. Noch bedeute
die Tatsache, dass nach der Richtlinie die Übermittlung eines solchen
Gesetzesvorschlags verlangt werde, als solche, dass der Gesetzesentwurf
notwendigerweise fehlerhaft oder vom Standpunkt des Binnenmarkts aus zu
beanstanden wäre. Vielmehr solle mit der RL 98/34 erreicht werden, dass
die Kommission (und infolgedessen die anderen Mitgliedstaaten) Kenntnis
von dem Vorschlag erlange und in einer frühen Phase seine möglichen
Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts untersuche.
Der Generalanwalt schlägt dem EuGH daher vor, zu entscheiden,
dass nationale Vorschriften wie die in Rede stehenden, die es
ausschließlich gewerblichen Betreibern von Suchmaschinen und
gewerblichen Anbietern von Diensten, die Inhalte aufbereiten, nicht aber
sonstigen – auch gewerblichen – Nutzern verbieten, Presserzeugnisse
oder Teile hiervon (ausgenommen einzelne Wörter und kleinste
Textausschnitte) öffentlich zugänglich zu machen, Vorschriften
darstellen, die speziell auf Dienste der Informationsgesellschaft
abzielen. Zudem stellten nationale Vorschriften wie die in Rede
stehenden eine technische Vorschrift dar, die der Übermittlungspflicht
nach der Richtlinie unterliege. Folglich dürften mangels einer
Notifizierung dieser nationalen Vorschriften an die EU-Kommission die
neuen deutschen Urheberrechtsbestimmungen von den deutschen Gerichten
nicht angewandt werden.
Die Richter des EuGH treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.
Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 197/2018 v. 13.12.2018
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